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Warum es Gene nicht gibt:

Genritter auf der Suche nach dem heiligen Graal

Die Zeit der Alchimie, die Zeit der Suche nach dem Stein der Weisen und den Künsten des Goldmachens, waren eine für die Gesellschaft ausgesprochen produktive Zeit früher Wissenschaft. Zu denken ist hier z.B. an das Schwarzpulver und die Porzelanherstellung. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, aus dieser Funktionalität dieses Ansatzes, der Suche nach dem Stein des Weisen, für die Entwicklung von funktionierender Technologie, darauf zu schließen, daß der Stein der Weisen tatsächlich existiert.

Das heißt die Produktivität eines wissenschaftlichen Ansatzes sagt nichts darüber aus, ob seine ideologischen Grundideen und Setzungen tatsächlich die Welt abbilden. Im Gegenteil, da die Produktivität eines solchen Ansatzes nicht nur auf Technologie bezogen ist, sondern auch auf die Vorstellungen von der Welt, auf das Menschen- und Gesellschaftsbild und damit auf die Struktur der Gesellschaft wirkt, kann unter Umständen ein Ansatz gerade deshalb besonders weitreichende Wirkungen entfalten, weil er an bestehende Mythologien anknüpft und nicht primär an der Realität.

Gerade weil die Alchimie mythische Bilder von Reinheit und der Suche nach dem heiligen Graal aus dem christlichen Hintergrund in eine Experimentralwissenschaft transformierte konnte sie in ihrer Zeit das für ihre Experimente notwendige Kapital aquirieren. Und nur weil sie durch ihre Einbettung in Mythologie auf bestehende Wahrheitssysteme zurückgriff war sie in der Lage die Vorstellungen in der Gesellschaft vom Menschen, von den Materie usw. grundlegend zu verändern. Das heißt ideologische Setzungen eines naturwissenschaftlichen Ansatzes können gerade seine gesellschaftliche Wirkung beflügeln auch wenn sie der Empirie widersprechen, und dies muß sich nicht einmal negativ auf die wissenschaftliche Produktivität auswirken.

Bekannt sind solche Differenzen zwischen ideologischen Setzungen und funktionaler Relevanz vielfältig aus anderen Bereichen. So waren z.B. die Kreuzzüge wichtig in der Machtauseinandersetzung zwischen weltlichen Herrschern und dem Papst, sie waren funktional für die Anhäufung von Reichtum und die Ausplünderung der eroberten Gebiete. Dies alles hatte mit der ideologischen Setzung der Befreiung des heiligen Landes nichts zu tun, gleichwohl war diese Ideologie ein wesentlicher Bestandteil in der symbolischen Auseinandersetzung um Macht in Europa.

WissenssoziologInnen bezeichnen heute die Naturwissenschaften als Religion der Moderne (1). Das heißt, daß in Teilbereichen der Naturwissenschaften heute religiöse Mythologie in säkularisierter Form fortgeschrieben wird. Dies gilt vor allem dort wo Wissenschaft Welterklärungsansprüche anmeldet, wo NaturwissenschaftlerInnen behaupten die Menschwerdung erklären zu können oder den Menschen an sich, also dort, wo Wissenschaft Erklärungscharakter weit über den konkreten Forschungsgesgenstand hinaus beansprucht. Hier werden Naturwissenschaften aber auch Sozialwissenschaften primär zu Ideologie. Um dies für die Naturwissenschaften greifbar machen zu können, ist es notwendig analytisch eine Trennung zu vollziehen zwischen der ideologischen Funktion von Begrifflichkeiten und ihrer technologischen Funktionalität. Das heißt es geht darum den naiven Realismus wie ihn viele NaturwisenschaftlerInnen an den Tag legen zu überwinden.

Betrachten wir die Naturwissenschaft unter diesem Blickwinkel, läßt sich leicht erkennen, daß die Ideologieproduktion zur Zeit vor Allem im Bereich der Mikrobiologie (2) stattfindet und eng mit dem Begriff Gen gekoppelt ist. GenetikerInnen geben vor die Menschwerdung erklären zu können (3), sie behaupten komplexe menschliche Verhaltenweisen auf simple Ursachen zurückführen zu können (4), ähnlich den Alchimisten die durch Purifikation Gold herstellen wollten, und insgesamt machen sie sich anheischig das letztendgültige Wissen zu erschließen (5), bedienen also klassische Erlösungsvorstellungen. Sie immaginieren sich selbst als Genritter auf der Suche nach dem heiligen Graal (6).

Keine dieser Behauptungen hält dabei auch nur einen Moment den üblichen wissenschaftlichen Standarts stand, ihre gesellschaftliche Wirksamkeit schränkt dies nicht ein (7).

Diese Ideologieproduktion wollen wir auf diesen Seiten bzgl. ihrer Wirkung und wie es zu dieser Wirkung kommt analysieren und dadurch eine Kritik ermöglichen. Daß heißt auf diesen Seiten geht es um das Gen als Diskursprodukt und als Diskurse produzierendes Artefakt.

Ihr werdet auf diesen Seiten keine Artikel über Mikrobiologie finden oder über die unterschiedlichen sich ständig wandelnden Modellvorstellungen, die dort unter dem Begriff Gen gefaßt werden (8)(9).

Auf diesen Seiten geht es um die Gene, die es nicht gibt (10), um;

- das Alltagsgen, also die ausufernde Verwendung genetischer Begrifflichkeiten im alltäglichen Sprachgebrauch und ihre Wirkungen auf das Subjekt (11),
- das Gen als Erklärung für komplexe menschliche Verhaltensweisen, also um das Genkonstrukt der Soziobiologie (12),
- das Gen, als Letzterklärung der Menschheitsgeschichte (13),
- das juristische Gen, also um die Wirkung genetischer Diskurse in der juristischen Praxis sowohl auf den Menschen bezogen (14), als auch um das Gen des Patentrechtes,
- usw.

Der gentische Diskurs ist zur Zeit der ideologisch dominante deshalb ist dieser Diskurs derjenige den wir in diesem Arbeitskreis zu Biopolitik zur Zeit primär behandeln. Wir werden aber diese Seite auch um die Kritik anderer Diskurse aus dem Bereich der Biopolitik erweitern. So deutet sich eine Ablösung des Gendiskurses durch die Neurologie an, aber auch Bevölkerungspolitik, Rassismus, Sexualitätsdiskurse und -politik u.a. sind Teil biopolitischer Machtausübung und der biopolitischen Konstitution des Subjektes (15).

Kein Gen, Kein Gott, Kein Vaterland!

Fußnoten

(1) - “.. in a theocratic society a study of the mundane and menial aspects of religious work is heretical.
Such is the case with the socioloigy of science in the 1980’s. It is impossible to write a book about scientific Work without calling into question the fundamental tenets of the belief in science. [..]
It is one thing to study prostitutes or addicts at some remove from the university, or to study a cult with a few adherents. It is another to study the practice of what is, in fact, the dominant religion of one’s own place of work.”
Leigh-Star, Susan – Regions of the Mind – Stanford – 1989
Die Religion auf dem Hochpunkt ist das die Welt konstituierende Wahrnehmungsraster sie produziert in einem Zirkel die Wahrheiten, die ihre Wahrheit beweisen.

(2) - In den 80er Jahren hätte hier noch der Begriff der Computer und Informatoinstechnologie gestanden. Die öffentlichen Diskurse über Technik, Mensch und Ethik wurden damals vor allem von der Künstliche-Intelligenz-Forschung dominiert, z.B. behaupteten Informatiker in kurzer Zeit spätestens bis zur Jahrtausendwende künstliche Intelligenzformen schaffen zu können, die dem Menschen ebenbürtig oder überlegen sein würden.
Und die laufen ja heute, wie wir wissen zu Hauf rum. Das heißt es handelte sich um rein ideologische Technomythologie ohne Realitätsgehalt, die aber nichts desto trotz wirksam war und bis heute viele Menschen glauben läßt, das ihr Gehirn einem Computer ähneln würde, obwohl dies technologisch inzwischen längst überholt ist.
Auch hier gilt ähnlich wie für die Alchimie: Die Artificial-Intelligence-Forschung ist gescheitert, trotzdem war sie aber sehr produktiv und wir verdanken ihr große Teile der im Golfkrieg zum Einsatz gekommenen neuen Rüstungsprodukte und die sogenannte 'intelligente' Kameraüberwachungstechnologie, wie sie teilweise im Straßenverkehr zur Anwendung kommt.

(3) - Ein Beispiel hierfür ist das Buch “Das egoistische Gen” von Richard Dawkins.

(4) - So wird z.B. versucht Homosexualität auf genetische Ursachen zurückzuführen. Erforscht wird dies dann an Fruchtfliegen. Deutlich werden hier die kurzschlüssigen Schlußweisen der GenetikerInnen. Denn falls es möglich wäre Fragen der Geschlechtsidentität beim Menschen an der Fruchtfliege zu erforschen, würde dies Voraussetzen das die Fruchtfliege überhaupt etwas derartiges besitzt, das würde aber bedeuten die Fruchtfliege besäße ein Unbewußtes, damit natürlich auch Phobien, Kommunikationsfähigkeit, usw., denn all diese Zusammenhänge gehören zur Definition des Begriffs Geschlechtsidentität. Die von SoziobiologInnen und GenetikerInnen aufgestellte Behauptung das eine genetische Abhängigkeit irgenwelcher Verhaltensweisen der Fruchtfliege Aussagen über komplexe Verhaltensweisen des Menschen zuließe, da Fliege = Mensch gleicht der Behauptung der Alchimisten, daß Blei der erste Schritt auf dem Weg zum Goldmachen sei. Letztendlich finden wir in diesem Gedanken das Komplexes auf Einfaches zu reduzieren sei, die alchimistiche Idee der Purifikation im theoretischem Gewand wieder. Real dürften die Erfolge einer solchen Forschung sich wohl auch zukünftig eher auf die Produktion selbstleuchtender Gummibären beschränken. Siehe dazu auch unseren Text: Von wissenschaftlichen Tieffliegern und Fruchtfliegen

(5) - Dabei dürften auch die meisten GenetikerInnen schon einmal davon gehört haben, daß es eine Quantentheorie und ein subatomare Ebene gibt. Das stört sie aber nicht weiter darin ihre Molekülforschung für die unterste Basis zu halten. Von einer Quantengenetik ist bisher zumindest nichts zu hören, aber das würde die Forschung ja auch nur unnötig verkomplizieren.

(6) - Das Gen tritt im gewissen Sinn an die Stelle Gottes als menschliche Schicksalsmacht. Damit geht es bei der Suche nach dem menschlichen Genom aber um die Suche nach dem ‘Erkenne dich selbst’ in Gott/im Gen, also darum, den Willen Gottes zu erkennen/dass Genom zu entziffern, dies entspricht aber genau der Suche nach dem heiligen Gral und der Hoffnung auf Erlösung durch endgültiges Wissen.
Da es um den heiligen Graal und Erlösung geht ist es damit übrigens auch nur konsequent die Entscheidungen über das für und wieder von Genforschung mit Pfaffen in Ethikkomission zu diskutieren, die sind hierfür schließlich das Fachpersonal.

(7) – Insbesondere die Soziobiologie arbeitet selbst gemessen an den üblichen wissenschaftlichen Standarts auf einem Niveau, das so schlecht ist, daß sie an sich von niemanden ernst genommen werden dürfte (siehe z.B.: Bleyer, Ruth - Science and Gender. A Critique of Biology and Its Theories on Women - New York 1984 / Haraway, Donna - Primatologie ist Politik mit anderen Mitteln - in: Das Geschlecht der Natur - Frankfurt a.M. 1995 / Schmitz, Sigrid - Man the Hunter, Woman the Gatherer - Dimensionen der Genderforschung am Beispiel biologischer Theoriebildung - in: Freiburger Frauenstudien 12 - Freiburg 2002 / Fausto-Sterling, Anne - Sexing the Body. Gender Politics and the Construction of Sexuality - New York 2000 / .. die Liste kritischer Texte zur Soziobiologie könnte fast beliebig fortgesetzt werden). Trotzdem oder gerade deshalb, weil sie primär Vorurteile und Stereotype reproduziert, also Erwartungshaltungen befriedigt, wird sie aber gerade in der populären Wissenschafts-rezeption stark aufgegriffen.

(8) – Das biologische Modell Gen ist einem permanenten Wandel unterworfen und in unterschiedlichen Teilbereichen werden unterschiedliche Genbegriffe verwand. Ausgeführt hat dies z.B. Evelyn Fox Keller in dem Buch ‘Das Jahrhundert des Gens’.
In der Biologie gibt es ein ähnlich komplexes und widersprüchliches Feld an Vorstellungen, die im Begriff Gen gefasst werden, wie es sie in den Sozial- und Politikwissenschaften für den Begriff Gesellschaft gibt. Das Problem ist, daß dies in der Biologie aber nur unzureichend bewußt reflektiert wird. In der populärwissenschaftlichen Darstellung fällt dies völlig unter den Tisch, nach Außen wird so getan, als gäbe es das Gen als 'harten' naturwissenschaftlichen Fakt. Wäre den Menschen bewußt, daß der Begriff Gen ein hochgradig umstrittenes wissenschaftliches Feld makiert und keine eindeutige Aussage, würde die genetische Ideologieproduktion kaum noch funktionieren.
Duden, Barbara - Mein Genom und ich, Fragen der Historikerin des Körpers – Seite 634 bis 639 in: Das Argument – Jg. 43 Heft 4/5 (Nr. 242) – 2001, S. 636-637: "Zwar ist es der Molekularbiologie in den siebziger Jahren gelungen, die DNA direkt zu untersuchen, aber den vielfach beschworenen »Atomen der Biologie« ist man damit nicht näher gekommen. Im Gegenteil: Alle Versuche, »Gen« einzukreisen und zu definieren, mussten nach und nach aufgegeben werden. Denn es ist nicht diskret – es gibt überlappende Gene. Es ist nicht kontinuierlich – es gibt Introns. Es hat keinen festen Ort, schließlich gibt es springende Gene. Es kann keine abgegrenzte Funktion geben, denn es gibt auch Pseudo-Gene. Es hat keine klaren Grenzen, denn die Sequenzen sind variabel. Bereits 1984 erkannte der Genetiker Raphael Falk diese Unschärfe: »Mit jeder neuen molekulargenetischen Entwicklung wurde offensichtlich, daß das Gen nichts anderes war als ein intellektuelles Hilfsmittel für die Organisation von Daten. So hat es sich in der Fachwissenschaft als fruchtbar erwiesen, so zu tun, als ob es Einheiten gäbe, die man GENE nennt.« (Falk 1984), und folgerichtig definiert der Wissenschaftsphilosoph Philip Kitscher: »Ein Gen ist alles, was ein kompetenter Biologe Gen nennt.« (1992) Das Gen ist also etwas X-Beliebiges. Wenn das Wort nichts Genaues bezeichnet, was sagt es dann aber im Alltagsgespräch? Das Wort in den Alltag eingefädelt, ist aufgeladen und wirkt magisch. Die Fähigkeit der Wissenschaft, die Sache eindeutig zu definieren, verschwand in der gleichen Geschwindigkeit, mit der inzwischen Laien herunterrattern können: »In jeder Zelle unseres Körpers sind die Gene, die den ganzen Bauplan des Menschen ausmachen«. Das Genom wird immer häufiger zur Erklärung für eine Eigenart, zum Ursprung und zur Ursache fürs Dasein, für alles und jedes verwendet. Auf das »ich« bezogen, ersetzt es das Persönliche, Moralische, Einzigartige meines So-Seins und Handelns durch eine biologische Deutung der eigenen Lebensführung."

(9) - Wir behandeln hier auch nicht die technologischen Gefahren mikrobiologischer Manipulationen, also z.B. die Fragen wie die, ob genetisch manipulierte selbstleuchtende Gummibären karzinogene Stoffe enthalten. Dies ist ein Problem der Technologiefolgenabschätzung, uns geht es um die Diskursfolgenabschätzung.

(10) - Wenn hier von Genen die Rede ist, die es nicht gibt, dann heißt dies nicht das diese Gene, die es nicht gibt, keine reale Wirkung entfalten können. Vielmehr ist zu sehen, daß sich Dskurse Verleiblichen, also die reale körperlich Erfahrung durch sie mit konstituiert wird (Der Gendiskurs bestimmt heute in ähnlicher Form die Selbstwahrnehmung wie dies z.B. die Psychoanalyse getan hat, z.B. durch Erfindung des Unbewußten.).

(11) – Duden, Barbara - Mein Genom und ich, Fragen der Historikerin des Körpers – Seite 634 bis 639 in: Das Argument – Jg. 43 Heft 4/5 (Nr. 242) - 2001

(12) - Dressel, Gert - der postmoderne Roll-back der egoistischen Gene - in: Fischer, Gero / Wölflingseder, Maria - Biologismus Rassismus Nationalismus - Wien 1995

(13) – Haraway, Donna – Genfetischismus – Seite 601 bis 614 in: Das Argument – Jg. 43 Heft 4/5 (nr. 242) - 2001

(14) – Dolgin, Janet L. – Ideologies of Discrimination: Personhood and the ‘Genetic Group’ – Seite 705 bis 721 in: Studies in History and Philosophy of Biologicaol and Biomedical Sciences - Vol. 32 No. 4 – 2001

(15) - Zum Begriff Biopolitik und zum Thema der Subjektkonstitution durch Biopolitik findet Ihr eine Vielzahl an Informationen auf dieser Netzseite.

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update: 10 Oktober, 2008